Ist dem Zeugen etwas aufgefallen?

Die Zeugenaussage ist das schlechteste Beweismittel überhaupt. Zeugen sehen nur das, was sie sehen wollen, nehmen das mitunter auch noch falsch wahr und erinnern sich hinterher an Dinge, die sie gerne gesehen hätten, aber nicht gesehen haben.

Traurigerweise nehmen Gerichte - insbesondere Strafgerichte - gleichwohl praktisch alles für bare Münze, was ein Zeuge sagt, erst recht, wenn es ein Belastungszeuge ist. Ein Gericht davon zu überzeugen, dass ein Zeuge die Unwahrheit gesagt haben könnte, ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Stellt der Verteidiger eine Zeugenaussage in Frage, wird dies von der Staatsanwaltschaft zumeist mit der rüden Kampfphrase "Wollen Sie dem Zeugen etwa unterstellen, dass er lügt?" gekontert. Dabei ist es eigentlich Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen zu überprüfen.

Diese Standardphrase von Staatsanwaltschaft und Gerichten ist zudem eine dreiste Verzerrung des eigentlichen Problems: Nicht die vorsätzliche Falschaussage - vulgo Lüge - ist nämlich das Problem, sondern die falsche Wahrnehmung, die falsche Erinnerung oder falsche Wiedergabe dieser Erinnerung. Das alles ist in den Köpfen von Staatsanwälten nicht existent, obwohl es praktische keinen Zeugen gibt (geben kann), der sich korrekt erinnert.

Wie falsche Wahrnehmung z. B. funktionieren kann, sieht man sehr schön in diesem Klassiker der Wahrnehmungspsychologie. Wer dieses Video noch nicht kennt: Unbedingt ansehen und den Test machen!

Kann man ein Gericht eigentlich über einen Beweisantrag zwingen, sich dieses Video anzugucken, um ihm vor Augen zu führen, wie sehr Zeugen sich irren können? Ich fürchte nein. Und das ist eine grandiose Fehlleistung des Gesetzes.

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