Schwenn sieht einen "strukturellen Widerspruch" zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung. Dem kann man eigentlich kaum seriös widersprechen, der Kollege Tolmein tut es trotzdem und scheitert dramatisch.
Denn der Widerspruch zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung liegt schon sprachlich auf der Hand. Solange die Unschuldsvermutung gilt, kann es keinen Täter geben - und ohne Täter keine Tat, ohne Tat kein Opfer. So weh es dem Geschundenen tun mag: Vor Gericht ist er Zeuge, nicht mehr und nicht weniger. Ob er auch Opfer ist, muss die Hauptverhandlung entscheiden.
Eine Hauptverhandlung, die sich schon vorher auf die Terminologie "Opfer" festlegt, hat die Verurteilung eines Täters bereits fest im Visier. Da zur Verurteilung aber zumeist nur ein Angeklagter zur Wahl steht, ist die Konsequenz in den Augen vieler so genannter "Opferanwälte" klar: Der Angeklagte muss verurteilt werden, denn die Tat muss gesühnt werden. Selten sieht man so deutlich, wie bereits anhand der verwendeten Terminologie das eigentliche Ziel der Strafverfahrens - die Sachaufklärung - aus dem Blickfeld gerät und das Strafverfahren zur unreflektierten Jagd auf den wird, den man für einen Täter hält.
Diese Form der Voreingenommenheit kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn der Richter vom "Opfer" spricht, wo er noch gar keine Tat festgestellt hat. Diese Wortwahl begründet nicht nur die Besorgnis der Befangenheit, sie beweist die Befangenheit bereits. Eine richterliche Entgleisung, die unverständlicherweise kaum jemals geahndet wird.
Wenn ich die Kritik des Kollegen Tolmein lese - an einem, der die grundlegenden Prinzipien eines rechtsstaatlich legitimierten Strafverfahrens verteidigt, dann wird mir mulmig zumute. Und ich kann nur hoffen, dass es möglichst vielen ähnlich geht.
No comments:
Post a Comment