Harry war immer unschuldig

Wenn man sich mal richtig aufregen will, dann muss man sich mit dem Fall des Harry Wörz beschäftigen. Gisela Friedrichsen tut das hier. Der Fall hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein Angeklagter, der unschuldig zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird und dem nach jahrelangem Kampf gegen die Justiz gelingt, seine Unschuld durchzusetzen.

Seine private und wirtschaftliche Existenz dürfte weitgehend zerstört sein, aber er ist frei. Diesen Fall könnten und werden Fürsprecher des Rechtssystems perverserweise als Beweis dafür werten, dass die Justiz funktioniert. Tut sie aber nicht, das Gegenteil ist der Fall. Und das erschließt sich einem nicht erst, wenn man die Geschichte liest.

Denn der Freispruch am Ende ist Zufall, das Ergebnis einer Verkettung glücklicher Umstände, zu denen auch hartnäckige Verteidigungsarbeit zählt. Verteidigungsarbeit, wie sie derzeit im Fall Kachelmann so genüsslich allerorten kritisiert wird.

Kein Zufall hingegen war die Verurteilung: Das Opfer: Polizistin. Der Hauptverdächtige: Polizist. Es ermittelten: Polizisten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Dass der einzige Beteiligte, der nicht Polizist ist, am Ende unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Und über allem thront der BGH, der in seinem dritten Urteil verlauten lässt, wie anders doch alles gewesen hätte sein können, hätte man nur gewusst, welche Ermittlungspannen doch passiert seien. Aber man hat es nicht gewusst, zumindest nicht wissen müssen, weil es für die Verteidigung praktisch unmöglich ist, rechtswidriges Ermittlungsverhalten in den Akten so festschreiben zu lassen, dass es einer Überprüfung zugänglich wird. Und so kann der BGH selbst die absurdesten inhaltlichen Fehler ignorieren, so lange nur die Form stimmt.

Das deutsche Revisionsrecht ist der eigentlich Skandal, Harry Wörz nur eines der Opfer. Viele andere Opfer sitzen noch immer unschuldig in Haft.

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