Kinder in die Kabinen!

Gestern war bekanntlich Wahl in Hamburg. Beim Gang zur Wahlurne hatte ich aus familiären und logistischen Gründen meine fünfjährige Tochter dabei. Als ich ihr die Wahlkabine zeigen und ihr das Prinzip einer demokratischen Wahl erklären wollte, wurde ich von der Wahlhelferin jäh zurückbeordert.

Kinder dürften nicht mit in die Kabinen. Das Kind müsse auf einem Stuhl am Eingang Platz nehmen. Als Grund hierfür wurde mir das Wahlgeheimnis genannt.

Das ist eine harmlose Variation dessen, was passiert, wenn Macht und Unwissenheit zusammentreffen, denn diese Begründung ist natürlich Quatsch, wenn auch resolut geäußert und durchgesetzt.

Das Wahlgeheimnis erfordert zwar, dass ein in seinem Wahllokal wählender Wähler seine Stimme grundsätzlich geheim, also unbeobachtet muss abgeben können ; Stimmzettel, bei deren Kennzeichnung der Wähler beobachtet wurde, dürfen im Prinzip nicht in die Wahlurne geworfen werden. Aber wie alle Normen muss man auch diese unter dem Gesichtspunkt ihres Sinnes und Zweckes betrachten. Wer immer nur am Wortlaut klebt, verliert.

Denn der Wortlaut einer Vorschrift entbindet eben noch nicht vom eigenständigen Denken und Anwendung kritischer Vernunft. Sinn und Zweck des Wahlgeheimnisses ist wohl kaum, Eltern in ihre Erziehung hineinzureden, sondern allenfalls, Wähler vor Druck oder Beeinflussung von außen zu schützen. Wer Druck oder Beeinflussung von seinem fünfjährigen Kind befürchtet, mag Briefwahl beantragen und mit dem Ankreuzen warten, bis das Kind im Bett ist. Falls das Kind schon lesen können sollte, was unwahrscheinlich ist.

Im Kleinen wie im Großen sollte man von Rechtsanwendern, denen ein gewisses Maß an Macht eingeräumt ist, wie z. B. Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten, aber auch Wahlhelfern, erwarten, dass sie die Norm, die sie gerade anwenden, auch verstanden haben.

Das ist im Großen wie im Kleinen leider längst nicht immer der Fall.

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