Noten für den Rechtsanwalt

Die meisten Menschen mögen angeblich keine Schulnoten. Bei dieser allgegenwärtigen Abneigung gegen Benotung ist es verwunderlich, wie viele Internetportale es gibt, in denen man Rechtsanwälte benoten kann und wie rege davon Gebrauch gemacht wird. Das scheinen die Menschen toll zu finden.

Dabei spricht eine Menge für Schulnoten, und eine noch größere Menge gegen die Benotung von Rechtsanwälten. Denn schulische Leistungen sind sehr gut messbar, da der Lernstoff vorgegeben ist und die Erreichung des Lernziels somit objektiv messbar ist. Die Bewertungsskala der Schulnoten von "sehr gut" bis "ungenügend" ist dabei so transparent, dass sie in fast allen Lebensbereichen übernommen gerne wird. Eine "drei" hat ungleich mehr Aussagekraft als irgendein windelweicher Bericht, der doch nur verschleiern soll, dass der Sprössling das Klassenziel verfehlt hat.

Anwaltliche Leistungen hingegen kann man nicht objektiv bewerten. Das muss schon deshalb scheitern, weil jede verobjektivierbare Zielvereinbarung fehlt. Wenn zwei sich streiten, kann höchstens einer gewinnen. Ist der Rechtsanwalt des anderen deshalb schlecht? Natürlich nicht. Vielleicht hatte der Gegner einfach nur das Recht auf seiner Seite. Anders herum kann selbst der schlechteste Rechtsanwalt den Sieg seines Mandanten manchmal nicht vereiteln.

In einem Strafprozess kann es für den Strafverteidiger ein Riesenerfolg sein, wenn er seinen Mandanten vor der Sicherungsverwahrung rettet - auch wenn der Mandant mit den fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe überhaupt nicht einverstanden ist.

Um einen Rechtsanwalt korrekt beurteilen zu können, bedürfte es daher erst einmal einer realistischen Zielvereinbarung. Das hieße, dass solch eine gemeinsame Zielvorgabe nicht nur getroffen werden müsste, sie müsste auch noch realistisch sein. Eine realistische Einschätzung der Zielvorgabe aber setzte wiederum vertiefte Rechtskenntnisse voraus - die bei den meisten Menschen so wenig vorhanden sein dürfte, wie bei mir Kenntnisse über anorganische Chemie.

Warum also wollen so viele Menschen unbedingt ihren Rechtsanwalt benoten? Wollen die sich rächen? Warum dann gerade an ihrem Rechtsanwalt, der im Zweifel noch der einzige sein wird, der ihnen wirklich helfen will?

No comments:

Post a Comment

Labels

Blog Archive