Der Angeklagte ist kein guter Mensch und die anderen fürchten sich

Vor mir liegt zur Überprüfung einer möglichen Revision das Urteil eines deutschen Landgerichts, große Strafkammer. Es geht also nicht um Eierdiebstahl, sondern um ausgewachsene Kriminalität.

Gleich der einleitende Satz ist großartig: "Der Angeklagte ist zunächst in einer vollständigen Familie aufgewachsen." Wie man es schafft, so viel falsches Vorverständnis und Voreingenommenheit in einen so kurzen Satz zu packen, das muss mir mancher Richter erst beibringen. Wann ist eine Familie "vollständig"? Das hat das Gericht für sich behalten. Was bedeutet "zunächst"? Das zumindest erläutert uns das Gericht im zweiten Satz: "Seine Eltern trennten sich, als er ein Jahr alt war."

Aha - aber ist man mit einem Jahr schon aufgewachsen? Wohl kaum. Ausgewachsen jedenfalls nicht. Was bitte soll dann so ein Satz, wenn nicht Stimmung gegen den Angeklagten machen? Und das sind erst die Feststellungen zur Person, ein Teil des Urteils, der unbeschadet des Tatvorwurfs oder des Beweisergebnisses ohne weiteres nüchtern und sachlich gehalten werden kann.

Da wagt man kaum weiter zu lesen ob der Befürchtung, was in der eigentlichen Begründung noch auf einen warten könnte. Und tatsächlich: In der Strafzumessung heißt es: "Zu Lasten des Angeklagten hat sich ausgewirkt, dass das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit durch die Tat erheblich beeinträchtigt wurde."

Für die Nichtstrafjuristen: Möchten Sie, dass in das gegen Sie verhängte Strafmaß negativ miteinfließt, dass sich andere Menschen jetzt vielleicht mehr fürchten als vorher? Steht das in irgendeinem Zusammenhang zu Ihrer Tat? Nein, das tut es nicht, und das möchten Sie deshalb auch nicht in irgendeinen Zusammenhang gepresst sehen.

Karlsruhe, übernehmen sie.

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