Verteidigung zweiter Klasse, erster Teil

Das leidige Thema Pflichtverteidigung ärgert mich, seit ich Strafverteidigungen übernehme. Mir ist - ehrlich gesagt - nicht ganz klar, wie Kollegen es vermeiden wollen, bei regelmäßigen Beiordnungen zum "Verurteilungsbegleiter" zu degenerieren.

Ich habe in zwei Gerichtsbezirken sehr ähnliche Erfahrungen gemacht und habe daher einigen Anlass zu der Annahme, dass es anderswo auch nicht anders läuft. In Hamburg ist die Erfahrung besonders krass, nämlich:

1.
Wer als bestellter Verteidiger einen Beweisantrag stellt oder Rechtsmittel einlegt, wird nicht wieder zum Pflichtverteidiger bestellt. Derartig unkooperatives Verhalten seitens des bestellten Verteidigers scheint sich obendrein in Windeseile im gesamten Gericht zu verbreiten, so dass auch andere Richter darauf reagieren, den Verteidiger mitunter sogar darauf ansprechen.

2.
Einige Richter erwarten vom bestellten Verteidiger, dass dieser den Angeklagten zu einemGeständnis bewegt und formulieren diese Erwartungshaltung auch ungeniert. Erhalten diese Richter anfangs der Beweisaufnahme kein Geständnis, reagieren sie verärgert und beschweren sich, dass der Verteidiger ihnen das nicht vorab mitgeteilt hat. Weitere Reaktion: siehe 1.

3.
Dies führt dazu, dass von etwa 500 im Strafrecht tätigen Kollegen in Hamburg etwa 20 alle Bestellungen unter sich aufteilen. Diese Kollegen sind in der Regel täglich am Gericht und sind von den Beiordnungen wirtschaftlich abhängig, da sie schon wegen dieses Zeitaufwands kaum eine andere Tätigkeit mehr entfalten können.

Wie ein Verteidiger unter diesen Umständen die Interessen seines Mandanten wahren will, ist mir schleierhaft. Die geschilderte Symbiose zwischen Gericht und Verteidigung erfüllt zudem alle Tatbestandsmerkmale der Vorteilsnahme bzw. Vorteilsgewähr und müsste eigentlich die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen.

Fortsetzung folgt.

No comments:

Post a Comment

Labels

Blog Archive